– ein Rückblick auf die tiefe Botschaft Benedikts XVI. an die Jugend
Ich erinnere mich an eine Begegnung mit einer evangelischen Freundin 2003: Ich berichtete ihr mit überschwänglicher Begeisterung von meiner Verehrung für Papst Johannes Paul II., nachdem ich ihm in Rom ganz nah begegnet war. Da fragte sie mich: „Wirst du seinen Nachfolger genauso lieben?“ Ich war ganz verdutzt. Nachfolger? Über einen Nachfolger hatte ich mir nie Gedanken gemacht – als würde der alte, gebrechliche Papst ewig so dasitzen und leiden. „Wenn er keine Unwahrheiten verkündet, ja. Wahrscheinlich.“ Eine sehr unsichere Antwort. Es war nahezu unvorstellbar, sich diesen Papst wegzudenken, der seit ich auf dieser Erde war, als Nachfolger Petri die Kirche leitete. Aber dann war es doch irgendwann soweit:
„Habemus papam!“ – Wo warst du, als diese Worte 2005 erklangen? Wann hast du von dem neuen Papst gehört? Was war dein erster Gedanke? Diese Erfahrungen sind jedem ganz persönlich eingeprägt und bei jedem Schwelgen in Erinnerungen an dieses so seltene und umso größere Weltkirchenereignis hat jeder seine eigene Story parat, um die anderen daran teilhaben zu lassen. Gerade die „Generation Benedikt“, wie die Jugend seines Pontifikats oft genannt wird, erinnert sich noch besonders gut an dieses Großereignis, denn es sind gerade mal 8 Jahre her, dass diese heiß ersehnte Nachricht an unsere Ohren drang – „Joseph Ratzinger“! So manch einen mögen in diesem Moment jedoch auch ein paar drängende Fragen gepackt haben:
Ist das gut? Wie ist der denn drauf? Ist der wie Johannes Paul II.? Warum nennt man den denn „Panzerkardinal“? Doch der Dunst dieser unwissenden Unsicherheit (wie wir sie vielleicht auch neulich – wenn auch nur für kurze Zeit – bei unserem neuen Papst Franziskus erlebt haben) löste sich schon bald samt aller Fragen, Gerüchte, Munkeleien und Vorbehalte auf und unser „Papa Benedetto“ eroberte die Herzen der Jugend im Sturm. Der gelehrte Professor, der weise Intelektuelle aus Rom, der hohe Theologe, der die Päpste beeindruckte – er wurde ganz schnell zum „Papa der Herzen“. Denn besonders wenn er zu der Jugend der Welt sprach, fand er immer die passenden Worte – mit einer Frische, die die Aufmerksamkeit der jungen Menschen weckte, und mit einer Tiefe, die jede suchende Seele der jungen Generation anzog, erfüllte, bereicherte, anspornte. Es gibt unzählige Zeugnisse aus der ganzen Welt, wie junge Menschen gerade durch diesen „alten Mann“ auf den Weg des Glaubens und auf den Weg der Wahrheit gefunden haben.
Auch ich machte die Erfahrung: Mit jedem Wort, das ich aus dem Mund Benedikts hörte (bzw. las), wuchs meine Liebe zu ihm. In seinen Worten wurde die Wahrheit und Tiefe des Glaubens so leuchtend hell, so greifbar nah, so unmissverständlich deutlich, dass es mich jedes Mal mit reiner Freude erfüllte, wenn ich seine Texte las. Ich hatte das Gefühl: Hier spricht mir jemand aus dem Herzen! Hier kennt jemand die tiefsten Fragen und Sehnsüchte meines menschlichen Lebens! Ich fühlte mich verstanden und dadurch zutiefst mit dem Hirten der Kirche verbunden. Deshalb soll hier nun, gewissermaßen als Danksagung, aber auch als Auffrischung unseres schlechten Gedächtnisses, ein kleines Blitzlicht aufleuchten auf all das, was er in besonderer Weise der Jugend unserer Zeit mit auf den Weg gegeben hat.
Im Gebet Jesus begegnen
Was hatte der Heilige Vater der Jugend zu sagen? Was las er in ihren Herzen? Wonach sehnen sie sich und was benötigen sie, um feste, christliche Persönlichkeiten zu werden? Eins hatte in allen seinen Botschaften und Ansprachen Vorrang, eins zog sich wie ein roter Faden durch sein Pontifikat: Benedikt wollte die Jugend zur persönlichen Begegnung mit Christus hinführen, er wollte sie anspornen zum beständigen Gebet – auch in der Dunkelheit, in den vielen Versuchungen, Prüfungen, Schwierigkeiten und unbeantworteten Fragen eines jungen Lebens, weil Gott uns gerade hier schon entgegenkommt und unser Herz bereitet, Ihn zu empfangen. „Räumt dem Gebet in eurem Leben Raum ein! (…) Er klopft an die Tür eurer Freiheit und bittet darum, als Freund aufgenommen zu werden. Er möchte euch glücklich machen, euch mit Menschlichkeit und Würde erfüllen.“
Und aus dieser Begegnung mit Christus, einer lebendigen Person, die dem Leben einen neuen Horizont und eine entscheidende Ausrichtung gibt, die uns mit echter, bleibender Freude erfüllt und uns bereit macht, Gottes Plan für unser Leben zu verwirklichen, können wir nicht anders, als vor denen Zeugnis abzulegen, die ihm noch nicht begegnet sind: „Wenn ihr euch an Christus stärkt, liebe Jugendliche, und wie der heilige Paulus in Ihn versenkt lebt, dann werdet ihr nicht umhin können, von Ihm zu sprechen und dafür zu sorgen, dass viele eurer Freunde und Altersgenossen Ihn kennen und lieben lernen. (…) Lasst euch durch Schwierigkeiten und die Prüfungen nicht entmutigen. Seid geduldig und beharrlich und besiegt die natürliche Neigung der Jugend, alles und alles sofort haben zu wollen.“
Den eigenen Glauben kennen und teilen
Der Papst rief der Jugend immer wieder zu, den Glauben mit Freude und Begeisterung zu leben, in der Einheit untereinander und mit Christus zu wachsen, zu beten und häufig die Sakramente zu empfangen – besonders die Eucharistie und die Beichte. Auch appellierte er an die „Hoffnung der Kirche“ (wie er die Jugendlichen nannte), sich um eine christliche Bildung zu bemühen und stets auf die Unterweisungen ihrer Hirten zu hören. So schrieb Papst Benedikt in seinem Vorwort zum Jugendkatechismus YOUCAT, es sei sein Herzenswunsch, dass die Jugendlichen den Katechismus mit Leidenschaft und Ausdauer studierten: „Opfert Lebenszeit dafür! Studiert ihn in der Stille eurer Zimmer, lest ihn zu zweit, wenn ihr befreundet seid, bildet Lerngruppen und Netzwerke, tauscht euch im Internet aus. Bleibt auf jede Weise über Euren Glauben im Gespräch! Ihr müsst wissen was ihr glaubt. (…) Ja, ihr müsst im Glauben noch viel tiefer verwurzelt sein als die Generation eurer Eltern, um den Herausforderungen und Versuchungen dieser Zeit mit Kraft und Entschiedenheit entgegentreten zu können. Ihr braucht göttliche Hilfe, wenn euer Glaube nicht austrocknen soll wie ein Tautropfen in der Sonne, wenn ihr den Verlockungen des Konsumismus nicht erliegen wollt, wenn eure Liebe nicht in Pornographie ertrinken soll, wenn ihr die Schwachen nicht verraten und die Opfer nicht im Stich lassen wollt.“
Aber immer wieder kehrte Benedikt zurück zu dieser großen Aufmerksamkeit, die Jesus den Jugendlichen, ihren Erwartungen, ihren Hoffnungen entgegenbringt, zu diesem Wunsch des Herrn, uns persönlich zu begegnen und mit jedem von uns in einen Dialog zu treten. Er ermutigte uns unermüdlich, unser „eigenes Gespräch mit Christus zu führen – ein Gespräch, das von grundlegender und wesentlicher Bedeutung für einen jungen Menschen ist“ , um die Erfahrung Jesu Christi zu machen, der uns persönlich liebt, jung oder alt, arm oder reich – auch wenn wir ihm den Rücken zukehren. Diese Erfahrung wird zu einem festen Halt für unsere gesamte menschliche Existenz und erlaubt uns, alle Prüfungen zu überwinden: die Entdeckung unserer Sünden, das Leid, die Entmutigung.
Nachfolge: das, was wir sind, in Fülle leben
Aber noch etwas anderes fällt in diese Lebensphase der Jugend, die eine Zeit der Grundentscheidung ist, um einen eigenen Lebensentwurf zu entwickeln. Es tauchen Fragen auf nach der Zufriedenheit mit meinem Leben, nach dem, was fehlt, nach Sinn und Wert des Lebens. Sie bringen die großen Wünsche des Herzens zum Ausdruck, sie warten auf Antworten, die nicht oberflächlich sind. Und hier verwies der Papst uns auf die Heiligen, die dem Ruf Jesu zur Ganzhingabe ihres Lebens gefolgt sind, die auf diese Liebe Jesu zu antworten wussten, indem sie nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellten, sondern sich entschieden, nach dem Evangelium zu leben und gegen den Strom zu schwimmen – „weil Gott die unendliche Liebe ist: der Einzige, der unser Herz befriedigt.“ „Nehmt auch ihr, liebe Freunde, nach dem Vorbild so vieler Jünger Christi, voller Freude die Aufforderung zur Nachfolge an, um intensiv und fruchtbar in dieser Welt zu leben. Mit der Taufe ruft er jeden dazu auf, ihm mit konkreten Taten zu folgen, ihn mehr als alles zu lieben und ihm in den Brüdern zu dienen.“
Benedikt scheute sich auch nicht, den Egoismus anzuprangern und die Jugendlichen daran zu erinnern, dass zu einem rechten Leben auch das Opfer und der Verzicht gehören. Die Liebe bedeute tatsächlich, sich selbst loszulassen und sich selbst zu verschenken, sich nicht auf sich selbst zu beschränken – was wird nur aus mir –, sondern nach vorne zu blicken, auf Gott und auf die Menschen, die Er mir schickt. „Wer sein Leben für sich haben will, nur für sich selbst leben will, alles an sich ziehen und alle Möglichkeiten ausnützen will – gerade derjenige verliert das Leben. Es wird langweilig und leer. Nur in der Aufgabe seiner selbst, nur im selbstlosen Geschenk des Ich an das Du, nur im „Ja“ zu dem größeren, Gott gehörigen Leben, wird auch unser Leben weit und groß. (…) Es gibt kein erfülltes Leben ohne Opfer. Wenn ich auf mein persönliches Leben zurückblicke, muss ich sagen, dass gerade die Momente, in denen ich „Ja“ zu einem Verzicht gesagt habe, die großen und wichtigen Momente in meinem Leben gewesen sind.“
In diesem Ansporn, das eigene Leben Gott ganz hinzugeben und anzuvertrauen, sprach der Heilige Vater natürlich auch über die Berufung. Zum einen über die Berufung zur Ehe und die Vorbereitung auf dieses Sakrament: „Denkt also ernsthaft über den göttlichen Ruf nach, eine christliche Familie zu gründen, und eure Jugend sei die Zeit, in der ihr verantwortungsbewusst die Grundlagen für eure Zukunft legt. Die Gesellschaft brauch christliche Familien, heilige Familien!“ Und dann hob er auch hervor, dass Jesus einigen eine radikalere Entscheidung vorschlage, Ihm nämlich im Priesterdienst oder im geweihten Leben nachzufolgen. „… dann zögert nicht, auf seine Einladung zu antworten. (…) Seid aufmerksam und bereit für den Ruf Jesu, euer Leben im Dienst an Gott und an seinem Volk zu verschenken.“ Das Geheimnis der Berufung – welcher auch immer – bestehe in der Fähigkeit und in der Freude, Seine Stimme wahrzunehmen, auf sie zu hören und ihr zu folgen.
Und dazu sei es notwendig, unser Herz daran zu gewöhnen den Herrn zu erkennen, Ihn wie eine Person zu hören, die mir nahe steht und mich liebt. „Mit einem Wort: das Geheimnis der Berufung liegt in der Beziehung zu Gott, im Gebet, das gerade aus der inneren Stille erwächst, aus der Fähigkeit zu vernehmen, dass Gott nahe ist. Und das gilt sowohl vor der Entscheidung, also im Moment des Entschlusses und des Aufbruchs, als auch danach, wenn man treu auf dem Weg bleiben will.“ Und so gewährte der Papst auch hin und wieder Einblick in seine eigene Berufungsgeschichte, in die Erfahrung seines eigenen Ringens: „Eine solche Entscheidung zu treffen, verläuft nicht ohne inneren Kampf. Anders ginge das auch gar nicht. Doch schließlich ist die Gewissheit plötzlich aufgetaucht: Das ist genau das Richtige! Ja, der Herr will mich, Er wird mir auch die Kraft geben. Wenn ich ihm zuhöre und mit ihm gehe, werde ich wirklich ich selbst. Was zählt, ist nicht die Verwirklichung meiner eigenen Wünsche, sondern die Verwirklichung seines Willens. So wird das Leben authentisch.“
Berufen zur Heiligkeit
Papst Benedikt rüttelte uns wach: Es geht um alles, um die Heiligkeit, um die Ewigkeit! „Alles andere ist unzureichend und unbefriedigend.“ Er rief uns immer wieder zu, uns nicht entmutigen zu lassen angesichts der Schwierigkeiten und uns nicht falschen, scheinbar einfacheren Lösungen hinzugeben, sondern uns ganz von Christus einnehmen zu lassen, uns mit Entschlossenheit auf den Weg der Heiligkeit zu begeben, voranzuschreiten auf dem Weg des Evangeliums, die Kirche zu lieben, schlichten und reinen Herzens zu sein, sanftmütig und stark in der Wahrheit, demütig und großherzig. Ein wahres Programm – und nichts für Warmduscher!
Zum Abschluss noch ein Wort, das unser Papst ganz speziell an die deutschen Jugendlichen richtete, als er im September 2011 sein Heimatland besuchte: „Liebe Freunde, Christus achtet nicht so sehr darauf, wie oft wir im Leben straucheln, sondern wie oft wir mit seiner Hilfe wieder aufstehen. Er fordert keine Glanzleistungen, sondern möchte, dass Sein Licht in euch scheint. Er ruft euch nicht, weil ihr gut und vollkommen seid, sondern weil Er gut ist und euch zu seinen Freunden machen will. Ja, ihr seid das Licht der Welt, weil Jesus euer Licht ist. Ihr seid Christen – nicht weil ihr Besonderes und Herausragendes tut, sondern weil Er, Christus, euer, unser Leben ist. Ihr seid heilig, wir sind heilig, wenn wir seine Gnade in uns wirken lassen.“
Heute würde ich meiner evangelischen Freundin sagen: „Ja, ich liebe ihn genauso!“ Auf ganz eigene Weise, vielleicht noch persönlicher, denn ich habe ihn viel bewusster wahrgenommen, ihn viel intensiver begleitet, ja, ein Stück weit vielleicht sogar mitgelitten auf seinem heftigen Kreuzweg. Nun dient uns der „Diener der Diener Gottes“ im Gebet – sicher auch im Gebet für die Jugend. Beten wir auch für ihn als Dank für das große Erbe, da er uns hinterlassen hat.